Seine Sinfonien, Concerti Grossi und Kammermusiken, seine Kantate "Historia von Dr. Johann Fausten" aus dem Jahr 1983, in einem weiteren Sinne auch die Oper "Life with an Idiot", (1992), machten ihn für ein breiteres Publikum zu einem beispielhaften, ja schulbildenden Vertreter zeitgenössischen Komponierens in den späten 70er, vor allem aber den 80er Jahren. Im Gegensatz zu Komponisten wie Boulez, Stockhausen, Nono, Lachenmann, aber auch dem frühen Ligeti stand Schnittke für eine selbstverständlich sich mitteilende, welthaltige, gar nicht hermetische Moderne. Aber Schnittke, der in Westeuropa bald in die Mühlen der Diskussion um die Postmoderne geriet, hatte nie daran gedacht, eine wie auch immer polemische Gegenposition zur Avantgarde des Westens einzunehmen. In den frühen 60er Jahren wurde er durch die Besuche Nonos mit dem seriellen Komponieren bekannt, auch im Studio für elektronische Musik in Moskau arbeitete er zeitweise mit. An eine stetig fortschreitende Moderne wollte Schnittke bald nicht mehr glauben, "in der jetzigen Situation der Musik ist alles alt", erklärte er, "es gibt ja nichts mehr Neues".
Bewusst ließ er die drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seiner Musik aufeinandertreffen, um so eine ganz neue Komposition entstehen zu lassen. Auch mit den „Drei Geistlichen Gesängen“ schuf er expressive vor allem aber zeitlose Miniaturen, auch wenn sie stark in der Tradition der russisch-orthodoxen Kirchenmusik verwurzelt sind. Dabei war Schnittke in einer deutsch-jüdischen Familie geboren und als Kind des kommunistischen Regimes sowjetisch erzogen worden. Auch später, als Erwachsener, gehörte er nicht der russisch-orthodoxen Kirche an sondern war praktizierender Katholik. Sein musikalischer Geschmack und seine Neugier waren aber losgelöst von alledem – ganz einfach überkonfessionell.
Im ersten Gesang vertonte Schnittke die orthodoxe Fassung des „Ave Maria“ – basierend auf dem Lukas-Evangelium treffen hier zwei Chöre im Wechselspiel eindrucksvoll aufeinander. Für die musikalische Umsetzung des Gebets „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“, Gesang Nummer zwei, verwandte er ein typisches Stilmerkmal der russischen Kirchenmusik: fein nuanciert spannt er einen beeindruckenden dynamischen Bogen. Das Werk schließt mit der Vertonung des „Vater unser“ nach dem Matthäus Evangelium, dass durch den gemeinsamen Vortrag – zum größten Teil unisono – Ehrfurcht und Erhabenheit zugleich ausstrahlt.
Für mich ist „Polystilistik“ ein relativ hohler Begriff, der eigentlich überhaupt nichts aussagt, sondern dem Komponisten allein eine Fähigkeit attestiert, die er ohnehin haben sollte. Einen Komponisten „polystilistisch“ zu nennen ist ungefähr so aussagekräftig wie einem Geiger zu bescheinigen, dass er neben arco auch das pizzicato beherrscht (was nichts über die Qualität seines Spiels aussagen würde). Ausnahmslos alle Komponisten der sogenannten „Klassik“ waren Polystilisten, ein Mozart zum Beispiel wäre beleidigt gewesen, hätte man bei ihm von einem einzigen Stil gesprochen, von einem Komponisten wurde erwartet, dass er alle Stile seiner Zeit kennt und in seiner Musik zu einer eigenen Tonsprache amalgamieren kann. Erst mit der Moderne und der parallel verlaufenden Industrialisierung kommt dem „Stil“ als eine Art „Brand“, eine Art „Marke“ eine überschätzte Bedeutung zu. Viele Komponisten beginnen sich nun künstlich in ihren Mitteln zu beschränken, im Dienste einer Idee oder einer Technik. Schnittke gehört wieder zu einer neuen Generation von Komponisten, die diese splendid isolation überwinden – daher ist Stil bei ihm vollkommen bedeutunglos als Kriterium, allein auf die Inhalte kommt es an.
Ein Jahr später entstand die Musik zu "Agonie", einem zweiteiligen Film von Elem Klimow, mit dem Schnittke bereits seit 1965 zusammenarbeitete. Der Film behandelt ein Thema, das in der Sowjetunion zur behördlichen Einstufung ‘subversiv’ führte: die Beeinflussung des Zaren durch Rasputin und das Mordkomplott gegen den skandalumwitterten Mönch. Das Staatliche Komitee für Kinemathographie in Moskau ließ sogar die Musik Schnittkes zu diesem Film zerstören. Erst 1987 konnte sie unter Schwierigkeiten wieder rekonstruiert werden und erlebte zehn Jahre später als Konzertsuite in Hamburg ihre Wiederaufführung. Zu Beginn und am Ende der Suite erklingt eine choralähnliche Passacaglia, die jeweils der Entwicklung verschiedenster Klangwelten dient. Ist sie anfangs noch strahlend und hell, so wird sie gegen Ende des Werkes zerbrochen und zerstört. Die gleiche Passacaglia bildet auch die Grundlage für den Schlusssatz seines 2. Cellokonzertes. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Filmmusik auf Schnittkes weiteres Schaffen, wie auch der 3. Satz der Suite mit dem berühmten Tango, der in etlichen seiner späteren Werke Eingang gefunden hat. Und schließlich versetzt in einem unheimlichen Walzer im Zarenpalast ein makabres Ticken den Hörer in Spannung - es ist nach Schnittkes Aussage die Lebensuhr, die mit ihrem unbarmherzigen Lauf jedem einzelnen Augenblick Bedeutung verleiht.
Auf der Suche nach anderen Möglichkeiten, sein Leben zu finanzieren und für seine Familie zu sorgen, wandte Schnittke sich der sowjetischen Filmindustrie zu. Die Musik für einen Film zu schreiben war wesentlich leichter, da die Genehmigung des Komponistenverbands für solche Projekte nicht benötigt wurde. In der sowjetischen Kinoindustrie beschränkte die Zensur sich größtenteils auf die Texte und Bilder, der Soundtrack dagegen lag in der Entscheidungsgewalt des Regisseurs. Schnittke komponierte die Musik für zahlreiche Filme berühmter sowjetischer Film- und Zeichentrickfilm-Regisseure. Er wird als Komponist für mehr als 60 Spielfilme aufgeführt.